Tunesien ist eine weitgehend freie Marktwirtschaft, wobei der Wettbewerb in den letzten Jahren durch den zunehmenden Einfluss der Familie des gestürzten Präsidenten Ben Ali massiv eingeschränkt wurde.
Geschätztes BIP 49,6 Milliarden US-$ (2014)
Pro Kopf Einkommen (Kaufkraftparität) 9400 US-$
Rang der menschlichen Entwicklung (HDI) Rang 91 (von 189) (2018)
Anteil Armut (unter 3,20 $ pro Tag; 2011) 9,1 %
Einkommensverteilung (Gini-Koeffizient) 35,8
Wirtschaftlicher Transformationsindex (BTI) Rang 45 von 137 (2020)
Das Wirtschaftssystem und seine Sektoren
Tunesien ist eine weitgehend freie Marktwirtschaft, wobei der Wettbewerb in den letzten Jahren durch den zunehmenden Einfluss der Familie des gestürzten Präsidenten Ben Ali massiv eingeschränkt wurde. Nahezu alle wichtigen Unternehmen und Sektoren wurden von dieser Gruppe kontrolliert. Energie- und Wasserversorgung, öffentlicher Nahverkehr und die Post sind staatlich, der Telekommunikationssektor wurde in den letzten zehn Jahren schrittweise geöffnet. Kraftstoffe und Grundnahrungsmittel sind subventioniert (dazu zählen u.a. Brot, Milch, Zucker, Mehl und Tomatenmark), sie dürfen nicht exportiert werden. Allerdings spielt Schmuggel aus und nach Libyen und Algerien vor allem im Süden und in der Region von Kasserine eine große Rolle. Verstärkte Grenzsicherungsmaßnahmen, um ihn zu unterbinden, bergen jedoch ein großes Risiko sozialer Instabilität, so Forscher. Korruption durchzieht nach wie vor weite Teile der Wirtschaft und des Zolls. Erst die aktuelle Regierung hat 2017 vorsichtig begonnen, gegen Korruption vorzugehen. Neben der Korruption gilt die Bürokratie als eines der größten Entwicklungshemmnisse.
Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft. Knapp 20 % der Beschäftigten sind in der Landwirtschaft tätig. Olivenöl und Datteln sind die wichtigsten Exportprodukte in diesem Bereich. rund ein Drittel der Arbeitnehmer ist in der Industrie tätig, und die Hälfte im Service- und Tourismusbereich. Dieses Verhältnis ist seit 2005 weitgehend stabil. Im Service spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-ups, so ein Bericht der GTAI. Ein Gesetz zu ihrer Förderung ist 2018 verabschiedet worden, seine Umsetzung wird jedoch kritisiert.
Ausländische Direktinvestitionen machen den größten Teil des tunesischen Bruttoinlandsprodukts aus. 85% der tunesischen Firmen sind im informellen Sektor tätig, so eine Studie des Unternehmerverbandes UTICA. Sie erwirtschaften rund 115 Milliarden US-Dollar, mehr als das sechsfache des tunesischen Haushaltes. Die Rücküberweisungen von Tunesiern aus dem Ausland lagen 2018 bei 2,6 Mrd Dinar. Eine große Herausforderung stellt die negative Handelsbilanz der letzten Jahre dar.
Neben Datteln, dem wichtigsten Exportprodukt, produziert und exportiert Tunesien vor allem Oliven. Im Jahr 2015 wurde dabei ein Rekordumsatz erzielt. Langsam nimmt auch der Anbau von Bioprodukten in Tunesien zu, jedoch stellt die teure Zertifizierung für den europäischen Markt für viele kleinere Betriebe ein wirtschaftliches Hindernis dar.
Wirtschaftsindikatoren, Analysen, Statistiken
Die aktuellsten Zahlen zur tunesischen Wirtschaft sind auf der Seite des Nationalen Statistikinstitutes veröffentlicht – wobei die Angaben zur Zeit vor der Revolution mit Vorsicht zu behandeln sind. Darüber hinaus bieten die Deutsch-Tunesische Industrie- und Handelskammer und die Publikationen und Datenblätter der GTAI einen guten Überblick. Außerdem finden sich weitergehende Informationen zu Wirtschaft und Entwicklung auf den Seiten des Internationalen Währungsfonds. Die EU bietet auf ihrer Website einen Überblick über ihre Beziehungen zu Tunesien. Eine ausführliche Infografik des Carnegie Endowment sowie ein Bericht der OECD bietet einen Überblick über sozioökonomische Tendenzen seit 2011.
Wirtschaftspolitik
Nach einer sozialistisch orientierten Periode in den 1960er und 1970er Jahren hat Tunesien seit Ende der 1980er Jahre auf eine zunehmende wirtschaftliche Liberalisierung gesetzt, mehr als 150 staatliche Firmen wurden seitdem privatisiert oder teil-privatisiert. Dies hat dem Land damals einen wirtschaftlichen Aufschwung mit lange Zeit konstanten Wachstumsraten um 5% beschert. 1990 tritt das Land dem GATT bei, es ist außerdem Mitglied der Welthandelsorganisation WTO. 2008 tritt eine 1996 beschlossene Zollunion mit der EU in Kraft. Derzeit wird eine Ausweitung des Freihandelsabkommens mit der EU verhandelt, die Tunesien im Dezember 2017 auf eine Liste sogenannter Steueroasen gesetzt hat und Anfang 2018 wieder entfernt hat. Kritiker warnen vor Schäden durch das Freihandelsgesetz vor allem für die tunesische Landwirtschaft.Trotz zunehmender Liberalisierung wird die Investitionspolitik nach wie vor in Fünfjahresplänen festgelegt. Der IWF und andere internationale Geber nehmen über umfassende Haushaltshilfen Einfluss auf die tunesische Wirtschaftspolitik.
Die Privatwirtschaft beklagt eine überbordende Bürokratie, die es gerade kleinen Projekten und Jungunternehmen erschwert, überhaupt eine Firma zu gründen. Staatliche Großunternehmen wie die Fluglinie Tunisair stehen seit Jahren am Rande des Bankrotts und sollen in den kommenden Jahren saniert werden. Die staatlichen Subventionen, vor allem für Energie und Kraftstoffe, fressen regelmäßig Milliardenlöcher in den tunesischen Haushalt. Das System so zu reformieren, ohne dass Bedürftige darunter leiden, ist eine große Herausforderung mit großer gesellschaftlicher Sprengkraft. Zaghafte Versuche wurden im Kleinen unter der Regierung Jomaa unternommen, allerdings scheuen sich alle Regierung seit 2011, das kritische Thema anzugehen. Die Reform der Alkoholsteuer, einer wichtige Einkommensquelle des Landes, sorgte 2016 für Diskussionen.
Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (umgerechnet rund 125 Euro) angehoben. Dies genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn. Offiziell lag die Arbeitslosigkeit 2013 bei 15,7%, in einigen Gouvernoraten im Landesinneren jedoch wesentlich höher. Die Arbeitslosigkeit von Akademikern liegt bei rund 28% (2019). Größter Arbeitgeber ist der Staat, jedoch sollen in den nächsten Jahren tiefe Einschnitte im aufgeblähten Beamtenapparat vorgenommen werden.
Die Inflationsrate lag 2018 bei über 7%, bei Nahrungsmitteln mit Ausnahme der subventionierten Güter noch deutlich höher. Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung bei, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringendsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll junge Unternehmen v.a. im IT Bereich stärken. Aufgrund der Coronakrise rechnet die tunesische Regierung für das Jahr 2020 von einer Rezession von rund 4%.
Produkte und Produktionsweisen
Eines der wichtigsten Exportgüter ist Phosphat, welches im Bergbaugebiet in der Gegend um Gafsa abgebaut wird. Phosphat wird vor allem zur Herstellung von Dünger verwendet. Neben Phosphat werden auch Zink und Eisenerze gefördert. Die Phosphat- und Chemiewerke sind der wichtigste Arbeitgeber in der Region, allerdings ist die Produktion seit der Revolution eingebrochen, da die Förderung immer wieder durch Streiks und Transportblockaden unterbrochen wurde. Eine anstehende Änderung der EU-Importregularien drohen den Export nach Europa zu erschweren. Weitere wichtige Industriezweige sind die Textilherstellung und –verarbeitung und die Ölförderung, wobei Tunesien im Vergleich zu anderen Staaten der Region wie zum Beispiel Libyen und Algerien über nur geringe Ölvorkommen verfügt.
Die Landwirtschaft spielt in Tunesien nach wie vor eine große Rolle. Im Nordosten werden vor allem Getreide angebaut. Diese werden oft exportiert und im Gegensatz werden Getreide minderer Qualität reimportiert. Auf dem Cap Bon, der Halbinsel südöstlich von Tunis wachsen Früchte und Zitrusfrüchte, im Sahel werden vor allem Oliven angebaut. Ein Großteil des Olivenöls geht in den Export, wird aber meistens mit italienischem gemischt und kommt daher nur selten als tunesisches Öl auf den europäischen Markt. Seit einigen Jahren werden zunehmend Bio-Öle angebaut. Im Süden des Landes werden Datteln produziert. Die Besten gehen direkt in den Export, im Land selbst kommt nur zweite Ware auf den Markt. Im Norden des Landes wird außerdem Wein angebaut. Die Verhandlungen über das Freihandelskommen mit der Europäischen Union (Aleca) werden gerade in Hinblick auf die Landwirtschaft in Tunesien kritisch betrachtet.
Rund 350 000 Menschen sind direkt im Tourismus beschäftigt, noch einmal 350 000 sind indirekt davon abhängig (zum Beispiel Hersteller von Kunsthandwerk, Souvenirhändler und Gastronomen). Dies macht mehr als 20% der arbeitenden Bevölkerung aus. Einnahmen aus dem Tourismus betragen rund 7% des BIP. Nach den Anschlägen in Tunis und Sousse im Jahr 2015 erlebt der Sektor jedoch einen massiven Einbruch. Rund die Hälfte der tunesischen Hotels war zum Jahresende 2015 geschlossen. Allerdings tragen nicht nur die Sicherheitslage, sondern auch veraltete Strukturen zum Einbruch des Tourismus bei.
2018 näherte sich die Zahlen zum ersten Mal wieder dem Vorrevolutionsniveau an. Im Jahr 2020 strebte Tunesien einen neuen Besucherrekord mit neun Millionen Gästen an. Durch die Corona-Krise musste der Sektor allerdings erneut massive Verluste hinnehmen, die auch durch die tunesischen Gäste nur sehr begrenzt eingedämmt werden konnten.
Handel
Mit der zunehmenden Liberalisierung der Wirtschaft einhergehend verabschiedet Tunesien 1993 einheitliche Investitions-Richtlinien. Seitdem haben sich mehr als 1500 export-orientierte Joint Ventures im Land angesiedelt. Sie profitieren von der Nähe zu Europa und vergleichsweise niedrigen Löhnen. Sie genießen zehn Jahre lang Steuerfreiheit, dürfen allerdings derzeit nur 10% ihrer Erzeugnisse im Land selbst verkaufen, was immer wieder, zum Beispiel bei Verpackungsmaterial zu unnötigen Exporten und Reimporten führt. 2016 wurde ein neues Investitionsgesetz verabschiedet, das Investitionen erleichtern und Bürokratie abbauen soll. Die nach wie vor bestehende Steuerfreiheit für Offshore-Firmen soll ausländische Investoren anlocken, wird jedoch sowohl von einigen tunesischen Ökonomen als auch der EU kritisiert.
Die engsten Handelsbeziehungen unterhält Tunesien zu Europa. Exportiert werden vor allem Textilien, landwirtschaftliche Erzeugnisse und Chemikalien sowie elektronische Geräte. Das Exportvolumen lag 2017 bei rund 11,36 Milliarden $ US. Importiert werden neben Textilien vor allem Maschinen, Chemikalien, Energie und Lebensmittel. Der Import lag 2017 bei rund 16,52 Milliarden $ US.
Derzeit verhandelt die tunesische Regierung mit der EU über eine Ausweitung des Handelsabkommens (ALECA), die weitreichende Auswirkungen auf die tunesische Wirtschaft zur Folge hätte. Das Abkommen wird vom Gewerkschaftsverband UGTT und Teilen der Zivilgesellschaft massiv kritisiert. 2019 ist Tunesien der ostafrikanischen Wirtschaftszone Comesa beigetreten. Im Vergleich zu Marokko ist das Land allerdings wenig auf dem subsahara-afrikanischen Markt präsent.
Tunesien verfügt über eine Börse in Tunis, die von einer staatlichen Aufsichtsbehörde kontrolliert wird. An der Börse sind knapp 60 Firmen gelistet. Die Regierung bietet Firmen, die an der Börse notiert sind, Steuervorteile an.
Die Texte stammen vom Länderportal der GIZ, welches vom Netz genommen ist. Verfasser ist Sarah Mersch, freie Journalistin und Trainerin. Sie arbeitet unter anderem für verschiedene ARD Anstalten, die Deutsche Welle und Online- und Printmedien. Die Urheber wurden soweit möglich informiert, dass auf meiner Tourismusseite zu Tunesien die Inhalte veröffentlicht werden.