Geschichte

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Tunesiens strategisch günstige Lage hat dem Land eine reiche, wechselvolle Geschichte beschert. Seit der Antike ist das Land ein wichtiger Handelsstützpunkt und zugleich Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen. Aufgrund seiner Lage und dem Aufeinanderfolgen wichtiger Zivilisationen besitzt das Land viele kulturhistorisch wichtige Stätten, von denen acht als Unesco-Weltkulturerbe klassifiziert sind.  

Die moderne tunesische Geschichte ist geprägt vom französischen Protektorat und den beiden

Präsidenten Habib Bourguiba und Zine El Abidine Ben Ali, die das Land seit der Unabhängigkeit 1956 mit harter Hand regierten. Am 14. Januar 2011 läutete der Aufstand der Bevölkerung gegen die Regierung und die Flucht Ben Alis eine neue Ära ein. Die tunesische Revolte war zugleich der erste einer Reihe von Aufständen des sogenannten arabischen Frühlings. 

Die Offenheit zum Meer hin und die wechselvolle Geschichte des Landes, in der eine Vielzahl von Zivilisationen Tunesien besiedelten, spielt auch in der Gegenwart noch eine wesentliche Rolle für das Selbstverständnis der Tunesier, die gerne betonen, dass diese historischen und geographischen Gegebenheiten die offene und tolerante Mentalität der Bevölkerung geprägt hat. 

Antike 

Die ersten menschlichen Spuren in Tunesien stammen aus der Altsteinzeit und wurden in einer Oase in der Nähe der südtunesischen Stadt Gafsa gefunden. Erst 2016 wurde erneut eine prähistorische Siedlung in der Nähe der Stadt Tozeur entdeckt. In der Jungsteinzeit breiteten sich die Berber im heutigen Tunesien aus und erste Phönizier aus dem heutigen Libanon ließen sich in Tunesien nieder. Die erste Stadtgründung war 1101 v.Chr. Utica, eine Handelsniederlassung im Norden des Landes (an der Küste zwischen Tunis und Bizerte). 841 v.Chr. folgte die Gründung Karthagos, rund 14 km vom heutigen Tunis entfernt. Der Legende nach gründete Elissa (Didon), die Schwester von Pygmalion, König von Tyr, die Stadt. Als sie nach Karthago kam bat sie die Einheimischen um ein Stück Land. Diese gestanden ihr ein Stück Erde der Größe einer Kuhhaut zu. Dem Gründungsmythos zufolge zerschnitt Elissa die Kuhhaut in dünne Streifen, mit denen sie ein großes Gelände abgrenzte. Dabei soll es sich um den Byrsa-Hügel in Karthago handeln. 

Karthago wuchs schnell zur wichtigsten phönizischen Handelsniederlassung im westlichen Mittelmeer heran. Dies rief schnell das römische Reich auf den Plan, und der Machtkampf endete in den drei punischen Kriegen zwischen 264 und 146 v.Chr. Auch wenn es Hannibal unter anderem mit seiner spektakulären Alpenüberquerung mehrfach gelang, die Römer an den Rand der Niederlage zu drängen, siegten diese schließlich und zerstörten das phönizische Karthago. 

Die darauf folgende Römerherrschaft währte bis ins 5. Jhd. n.Chr. In dieser Zeit wurde Karthago zur Kornkammer Roms und lieferte, neben Ägypten, einen Großteil des Lebensmittelbedarfs des römischen Imperiums, vor allem Öl und Getreide. Die Römer drangen mit der Zeit immer mehr ins Landesinnere vor, wo sie unzählige Städte gründeten. Die gut erhaltenen Ruinen zum Beispiel von Dougga, El Jem und Sbeitla vermitteln einen Eindruck des Ausmaßes der römischen Besiedelung zu dieser Zeit. Tunesien wurde Teil der römischen Provinz Africa (zunächst mit Utica als Hauptstadt, ab 14 n.Chr. Karthago), die in der Folge dem ganzen Kontinent seinen Namen verlieh. Noch heute wird die landwirtschaftlich wichtige Region um El Kef und Jendouba im Nordwesten des Landes von älteren Tunesiern im lokalen Dialekt Friguia genannt.

Spätantike, Mittelalter und Neuzeit 

Ab 647 n.Chr. breiteten sich die Araber in Tunesien aus. 670 n.Chr. gründet Oqba Ibn Nafi die Stadt Kairouan, deren Moschee bis heute das wichtigste Zentrum des Islams in Tunesien und ganz Afrika ist. Ende des 7. Jhd kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen um Karthago, in deren Verlauf die Stadt in die Hände der arabischen Ghassaniden, der Byzantiner und Berber fiel. 689 gewannen schließlich die Araber die Schlacht und bereiteten sich daraufhin immer weiter im Landesinneren aus. Dies führte dazu, dass immer mehr Berber zum Islam konvertierten und sich die arabische Sprache ausbreitete. In der Folgezeit erlebte Tunesien die Herrschaft verschiedener arabischer Dynastien, deren Macht immer wieder von Berberaufständen in Frage gestellt wurde. Tunesien war bis 750 eine Provinz der Ummayaden Dynastie, bevor es an die Abbasiden fiel. Nach den Aghlabiden (800-909), die Tunis zur Hauptstadt des Landes machten, übernahmen die schiitischen Fatimiden die Herrschaft in Tunesien (909-972). Sie breiteten sich schnell bis nach Kairo aus und überließen Tunesien zunehmend dem lokalen Stamm der Ziriden (972-1148). Es folgten Jahre der Auseinandersetzungen zwischen Ziriden, Fatimiden und dem Stamm der Banu Hillal, die zum Niedergang der Region führten. Im 12. Jahrhundert eroberten die Normannen von Sizilien aus für kurze Zeit die tunesische Küstenregion, bevor Tunesien 1159 von den Almohaden erobert wurde. Unter ihrer Herrschaft blühte der Handel mit anderen Mittelmeerregionen und das Land erlebte einen wirtschaftlichen Aufschwung. Als 1228 der Sohn des Herrschers die Hafsiden-Dynastie begründete regierten zum ersten Mal Tunesier über das Land. Im 14. Jahrhundert wanderten zunehmen Mauren und Andalusier in die Küstenregionen des Landes ein. 

Mit dem Ende des oströmischen Reiches eroberten 1574 die Osmanen Tunesien und machten es zu einer Provinz des Osmanischen Reiches. Das Gebiet wurde einem Bey (einem Statthalter) unterstellt, der weitgehend unabhängig agieren konnte, so dass Tunesien unter der osmanischen Herrschaft relativ selbständig war. Dies wurde begünstigt durch das geringe Interesse, dass die osmanischen Herrscher an der Provinz zeigten. Der Bey Ahamad I Al-Husain (1837-1855) leitete eine Modernisierung der Verwaltung Tunesiens ein. Unter und in der Folge seiner Herrschaft wurden unter anderem die Sklaverei und die religiöse Gerichtsbarkeit abgeschafft und eine Verfassung verabschiedet. 

Doch seit den 1820er Jahren litt die tunesische Wirtschaft unter einer schlechten Exportbilanz und hoher Auslandsverschuldung, so dass die Regierung 1869 den Staatsbankrott erklären musste. Aufgrund seiner strategischen Lage interessierten sich die europäischen Mächte schnell für Tunesien, so dass England, Frankreich und Italien eine gemeinsame Finanzkommission einsetzten, die das Land wirtschaftlich kontrollierte. Alle drei Mächte spekulierten darauf, so größeren Einfluss in der Region zu gewinnen. Als im Frühjahr 1881 Berber aus dem Kroumirie-Gebirge im Norden Tunesiens in das bereits von Frankreich kolonisierte Algerien vordrangen, bot sich für Frankreich ein Vorwand, in Tunesien einzumarschieren. Die Truppen von Premierminister Jules Ferry eroberten innerhalb von drei Wochen Tunis. 

Neue Geschichte 

Das französische Protektorat (1881 – 1956) 

Am 12. Mai 1881 unterzeichneten der damalige Machthaber Sadik Bey und die französische Regierung den Vertrag von Bardo, in dem Tunesien Frankreich weitreichende Rechte einräumt und seine außenpolitischen Befugnisse an die Protektoratsmacht abgab. Trotz Aufständen im Süden des Landes gelang es den Franzosen, ihre Stellung zu festigen, so dass sie 1883 mit Ali Bey, dem Nachfolger Sadok Beys, einen zweiten Vertrag, den Vertrag von La Marsa abschlossen. Dieser sah neben der Schuldenübernahme durch Frankreich auch weitreichende innenpolitische Befugnisse vor. Der Bey musste fast alle Macht an den französischen Statthalter abgeben, so dass die tunesischen Monarchen während des Protektorats eine rein repräsentative Stellung einnahmen. Wirtschaftlich entwickelte Tunesien sich positiv. Banken und Unternehmen wurden gegründet, und als im Süden Phosphat und Eisenerz entdeckt wurden bauten die Franzosen eine Eisenbahn, so dass Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Abbau der Bodenschätze begonnen wurde. Die wirtschaftliche Entwicklung kam allerdings mehr Frankreich als den Tunesiern selbst zugute. 

Die Kolonialmacht führte außerdem ein zweisprachiges Schulsystem ein, dass es den Schulabgängern erlaubte, an französischen Universitäten zu studieren. Gleichzeitig führte auch die Universität der Zitouna-Moschee von Tunis, der bis dato wichtigsten Hochschule Tunesiens, mehr säkulare Fächer ein. Obwohl viele Tunesier den Modernisierungsbewegungen an sich positiv gegenüber standen forderten sie, dass diese von Tunesiern selbst betrieben werden müssten und nicht von Frankreich.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten sich zunächst in Tunis und später auch in anderen Städten des Landes zivilgesellschaftliche Organisationen wie zum Beispiel die Jeunes Tunisiens, und der Widerstand gegen Frankreich nahm zu. Einer der Stimmen dieser Bewegung war der junge Dichter Abu el-Kacem el-Chebbi,der in seinem berühmt gewordenen Gedicht „An die Tyrannen der Welt» die französischen Herrscher kritisiert, ohne sie explizit beim Namen zu nennen. 

1920 gründeten tunesische Nationalisten die Destour-Partei (Verfassung). 1934 spaltete sich unter Führung unter anderem des jungen Anwalts und späteren Staatsgründers Habib Bourguiba die modernere, säkular orientierte Neo-Destour-Partei ab. 1937 verhandelte die Neo-Destour-Führung mit Leon Blum über eine mögliche tunesische Unabhängigkeit, diese Verhandlungen scheiterten jedoch. Während des zweiten Weltkriegs unterstützen die französischen Kolonialherren in Tunesien zunächst das Vichy Regime. Als Moncef Bey 1942 die Thronfolge antritt stellt er sich jedoch klar gegen den von Vichy eingesetzten Generalresidenten. Ab dem Herbst 1942 wird der tunesische Süden Schauplatz von Kämpfen zwischen Rommels Afrika-Korps und amerikanischen und französischen Truppen. Moncef Bey versucht, sich möglichst neutral zu verhalten und die Bevölkerung zu schützen. 

1940 hatte das Vichy-Regime Habib Bourguiba, der schnell zu einer der führenden Köpfe gegen das Protektorat geworden war, an das faschistische Rom ausgeliefert, in der Hoffnung, er würde sich gegen die französische Resistance stellen. Bourguiba rief jedoch 1942 zur Unterstützung der Alliierten auf. Als er nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Tunesien zurückkehrte, führte er den Kampf für die tunesische Unabhängigkeit weiter. 

Die tunesische Unabhängigkeitsbewegung 

Nach 1945 nahmen die Auseinandersetzungen in Tunesien an Ausmaß und Anzahl zu. Verhandlungen mit der Regierung Robert Schumann scheiterten 1951 und die Neo-Destour rief zum bewaffneten Widerstand auf. Die Ermordung des Gewerkschaftsführers Farhat Hached von der kolonialistischen Terrororganisation La Main Rouge 1953 ließ die Proteste aufflammen. Habib Bourguiba, der aus Angst vor einer Verhaftung drei Jahre in Kairo lebte, wurde bei seiner Rückkehr bis 1954 unter Hausarrest gestellt. 1954 sicherte Frankreich Tunesien innere Autonomie zu, was die Situation im Land deutlich beruhigte. 1955 unterzeichneten die Premierminister Tahar Ben Ammar und Edgar Faure die französisch-tunesischen Verträge. Am 20. März 1956 wird Tunesien unabhängig, Frankreich behält jedoch die Kontrolle über die Militärbasis in der nordtunesischen Stadt Bizerte.

Die Regierungszeit Habib Bourguibas (1957-1987) 

Der Anwalt Habib Bourguiba, der sich schon im Kampf für die tunesische Unabhängigkeit hervorgetan hatte, wird 1956 zunächst Außenminister und Ministerpräsident der Verfassungsgebenden Versammlung, und nach Abdankung des Beys 1957 der erste tunesische Präsident. Die frühen Jahre seiner Amtszeit sind geprägt von einer gesellschaftlichen Modernisierung. Bourguiba, der in Frankreich Jura studiert hatte, verabschiedete 1956 nur fünf Monate nach der Unabhängigkeit und vor der neuen Verfassung, ein neues Personenstandsgesetz, den Code du Statut Personnel (CSP), das die Frauen weitgehend gleichstellte und ihnen beispielsweise das Recht einräumte, wählen zu gehen und auf eigene Initiative die Scheidung einzureichen. Bourguiba trieb die soziale Modernisierung von oben mit allen Mitteln voran und setzte dabei auf starke Symbole, die bis heute Teil des kollektiven Gedächtnis Tunesiens sind. So nahm er zum Beispiel bei einer öffentlichen Veranstaltung einer Frau den Safsari, einen traditionellen weißen Ganzkörperumhang aus Leinen, mit dem sich auch Kopf und Gesicht verdecken lassen, ab, und trank während des Fastenmonats Ramadan tagsüber im staatlichen Fernsehen ein Glas Orangensaft.  Schwerpunkte der Politik seiner Anfangsjahre sind die Reform des Gesundheits- und Bildungswesens. Nach der Ermordung seines stärksten innenpolitischen Widersachers Salah Ben Youssef 1961 in Frankfurt am Main vermutlich durch der Bourguiba-Regierung nahe stehende Kräfte und dem Verbot der Kommunistischen Partei 1963 wird Tunesien zum Ein-Parteien-Staat. Schon früh kritisierten ehemalige Weggefährten den politischen Autoritarismus Bourguibas. 

Außenpolitisch waren die ersten Amtsjahre Bourguibas vom Reformdenken des Präsidenten geprägt. Den gleichen Pragmatismus, der zur frühen und relativ unblutigen Unabhängigkeit Tunesiens geführt hat, wandte er auch auf Palästina an. 1965 forderte er in einer Rede in Jericho Verhandlungen mit Israel und schlägt der UNO gar einen Staatenverbund Israels mit den arabischen Nachbarstaaten vor. Die Idee Bourguibas führt zum Bruch mit der Arabischen Liga. Auch in Tunesien wird der Schritt des Präsidenten kritisch betrachtet. Ein Projekt zur Vereinigung mit Libyen wird gegen starken innenpolitischen Widerstand 1974 aufgegeben. 

Nach gescheiterten sozialistischen Experimenten und der Kollektivierung der Landwirtschaft in der ersten Hälfte der 1960er Jahre rutscht Tunesien trotz wirtschaftlicher Liberalisierung in eine Krise. Als die Regierung zum Jahreswechsel 1983/84 die Erhöhung der Preise für Grundnahrungsmittel ankündigt kommt es im ganzen Land zu Demonstrationen und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die sogenannten Brotaufstände kamen schnell zur Ruhe, als Bourguiba die Preiserhöhungen rückgängig machen ließ, zeigten aber, dass das System zunehmend instabil geworden war und der Rückhalt für den autokratisch regierenden Bourguiba, der sich 1975 zum Präsidenten auf Lebenszeit ernennen ließ, in der Bevölkerung schwand. Hinzu kam das Erstarken der islamistischen Ennahdha Bewegung, die für mehrere Anschläge auf Hotels im August 1987 verantwortlich gemacht wird. Dieses diffuse Klima der Angst und der sich zusehends verschlechternde Gesundheitszustand Bourguibas begünstigen den Aufstieg des Generals Zine El Abidine Ben Ali. 

Der medizinische Staatsstreich des 7. November 1987 

Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter und General Ben Ali wird 1986 zunächst Innen- und im Oktober 1987 dann Premierminister. Er hatte sich vor allem dem Kampf gegen die Islamisten verschrieben, gegen die er mit harter Hand vorging. In der Nacht vom 6. auf den 7. November 1987 bringt er eine Gruppe von Ärzten zusammen, die die Amtsunfähigkeit des greisen Bourguiba bestätigen. Dieser unblutige „medizinische Staatsstreich“ wird zunächst von weiten Teilen der Bevölkerung begrüßt, und Ben Ali tritt mit dem Versprechen demokratischer Reformen an. 

Der Machtwechsel kam einem anderen Staatsstreich zuvor, den eine Gruppe um die damals verbotene islamistische Partei Ennahdha für den 8. November 1987 geplant hatte.  

Die Regierungszeit Zine El Abidine Ben Ali (1987 – 2011)

Zu Beginn seiner Amtszeit schaffte der neue Präsident die Präsidentschaft auf Lebenszeit ab und begrenzte sie auf drei Amtszeiten (eine Entscheidung, die er 2002 rückgängig machen ließ). Außerdem ließ er mehrere Oppositionsparteien und die Tunesische Menschenrechtsliga (LTDH) zu. Bei den Präsidents- und Parlamentswahlen 1989 wird Ben Ali als einziger Präsidentschaftskandidat mit 99,27% der Stimmen gewählt. Die Islamisten, deren Partei verboten bleibt und die daher auf unabhängigen Listen angetreten waren, erreichten bei den Parlamentswahlen rund 14%. Zwei Jahre später gibt die Regierung an, einen geplanten Staatsstreich der Islamisten aufgedeckt zu haben, und beginnt, hart durchzugreifen. 

Tausende Mitglieder der Ennahdha-Bewegung werden verhaftet, viele kommen erst nach dem 14. Januar 2011 wieder frei. Bei den folgenden Wahlen erreicht Ben Ali regelmäßig Ergebnisse über 90%. Internationale Organisationen werfen Ben Ali Wahlbetrug vor. Wirtschaftlich erlebt Tunesien unter der Amtszeit Ben Alis eine Blüte. Insbesondere der Tourismus wird angekurbelt (erleidet jedoch mit dem Anschlag auf die Synagoge von La Ghriba, Djerba 2002 einen herben Rückschlag), außerdem siedeln sich viele französische Dienstleistungsfirmen in Tunesien an (insbesondere Call Center). In den 2000er Jahren nimmt der Einfluss der Familie Ben Ali – Trabelsi (seiner zweiten Ehefrau Leila Trabelsi) auf die Wirtschaft zu, bald kontrolliert der Clan die wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. 

Eine Studie der Weltbank legt dar, wie die Familie geschickt bestehende Regulierungen ausnutze und neue Gesetze schuf, um sich unter dem Deckmantel der Legalität zu bereichern. Die hohe Arbeitslosigkeit insbesondere jugendlicher Akademiker sorgt für massive Spannung. Offiziell liegt sie 2010 bei 14 %, unabhängige Untersuchungen kommen in einigen Regionen jedoch auf bis zu 60%. Nach Angaben des tunesischen Sozialministeriums vom Frühjahr 2011 leben 24% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. 

Die Unterdrückung der Opposition und zivilgesellschaftlicher Organisationen, die massive Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, die zunehmende Internetzensur, auch mit Hilfe deutscher Technik, und der Kult um die Person Ben Ali und die Zahl 7, dem Symbol der Machtübernahme vom 7.November 1987, sorgen für zusätzliche Spannung. Am 18. Oktober 2005 treten Vertreter der Opposition in den Hungerstreik – es ist das erste Mal, dass linke und islamistische Politiker und Aktivisten gemeinsam gegen das Regime protestieren. Seit 2008 kommt es in der Bergbau-Region um Gafsa immer wieder zu Protesten und blutigen Aufständen, die von der 

Regierung und Polizei jedoch lokal begrenzt gehalten und niedergeschlagen werden. In der Bevölkerung wächst die Wut auf Ben Ali, der hinter vorgehaltener Hand „Bac moins 3“ (Ben Ali hat die 

Schule drei Jahre vor dem Abitur verlassen) oder „Zinochet“ genannt wird. 

Der Umsturz vom 14. Januar 2011 

Im Winter 2010/2011 kommt es in Tunesien zu massiven Protesten gegen die Regierung, die innerhalb nur eines Monats, beschleunigt von einer Protestwelle in sozialen Netzwerken, zur Flucht von Präsident Ben Ali führen. Die tunesische Revolution läutet damit den sogenannten Arabischen Frühling ein. Das Ausmaß und die schnelle Ausbreitung der Proteste kamen sowohl für die Herrschenden als auch für die meisten Bürger überraschend. Auslöser der Aufstände war die Selbstverbrennung des jungen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi am 17.Dezember 2010 in der Provinzstadt Sidi Bouzid, der angeblich von einer Polizistin gedemütigt wurde, als sie ihm die Ware abnehmen wollte, da er keine Lizenz hatte. In der Folge kam es zu einer Reihe Demonstration die sich aus Sidi Bouzid zunächst in andere Städte der Region wie Kasserine und Regueb ausbreiteten und dann die größeren Städte wie Sfax, Sousse und Tunis erreichten. Insbesondere in Kasserine und Sidi Bouzid ging die Polizei mit massiver Gewalt gegen Demonstranten vor. Am 14. Januar demonstrierten Zehntausende vor dem Innenministerium auf der Avenue Bourguiba, der Hauptstraße von Tunis. Am Abend verließ Ben Ali mit seiner Familie das Land und floh nach Saudi Arabien. 

Über die genauen Umstände seiner Flucht herrscht Unklarheit, es liegt aber nahe, zu vermuten, dass sein Sicherheitschef Ali Seriati einen Staatsstreich plante, der von Militär und / oder der tunesischen Antiterrorbrigade verhindert wurde. Am Abend des 14.Januar übernahm eine Übergangsregierung die Führung des Landes, die nach massiven Protesten mehrfach umgebildet wurde.  Ben Ali befindet sich im Exil in Saudi-Arabien. Trotz eines internationalen Haftbefehls bemühte sich keine der nachfolgenden tunesischen Regierungen, die Auslieferung des ehemaligen Präsidenten voranzutreiben. 

Die Proteste gegen Ben Ali wurden bereits früh von der in Teilen damals eher regierungsnahen Einheitsgewerkschaft UGTT unterstützt. Das Militär verhielt sich neutral und weigerte sich, mit Gewalt gegen die Demonstranten vorzugehen. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, die trotz massiver Zensur zumindest in Teilen zugänglich waren, dienten dazu, Informationen zu verbreiten, weshalb teilweise auch von einer Facebook- oder Internetrevolution gesprochen wird. Die Gründe für die Revolution waren vielfältig, neben der hohen Arbeitslosigkeit insbesondere unter Hochschulabgängern richtete sich der Zorn der Bevölkerung gegen die massive Unterdrückung der Zivilgesellschaft und den autokratischen Führungsstil Ben Alis und der Familie Trabelsi, die das Land regelrecht ausbeuteten und die wichtigsten Wirtschaftsbereiche an sich rissen. 

Die Entwicklung nach dem politischen Umbruch 2011 

Seit dem Umbruch des 14. Januar 2011 versucht Tunesien, einen demokratischen Weg  einzuschlagen. Während einige wichtige Etappen genommen wurden, wie zum Beispiel freie Wahlen und die Verabschiedung einer neuen Verfassung, kam es auch immer wieder zu schweren Rückschlägen wie politischen Morden und Terroranschlägen. Auch die wirtschaftliche Lage hat sich seit 2011 nicht stabilisiert. 

Die Texte stammen vom Länderportal der GIZ, welches vom Netz genommen ist. Verfasser ist Sarah Mersch, freie Journalistin und Trainerin. Sie arbeitet unter anderem für verschiedene ARD Anstalten, die Deutsche Welle und Online- und Printmedien. Die Urheber wurden soweit möglich informiert, dass auf meiner Tourismusseite zu Tunesien die Inhalte veröffentlicht werden.