Armut und Armutsbekämpfung
Die Lebenssituation der Bevölkerung hat sich in Tunesien in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert. Strom und fließend Wasser erreichen fast die ganze Bevölkerung. Steigende Arbeitslosigkeit und regionale Unterschiede in der Wohlstandsverteilung sind allerdings nach wie vor große Entwicklungshindernisse. Rund zwei der elf Millionen Einwohner sind arm (2011; die offiziellen Zahlen vor dem 14.Januar lagen bei 3-4%), mehr als 600 000 arbeitslos. In einigen Regionen und Berufen liegen die Zahlen noch weit darüber. Die tunesische Bevölkerung ist sehr jung (mehr als die Hälfte ist unter 30 Jahre alt), so dass Armut und Arbeitslosigkeit gerade die junge Bevölkerung sehr stark treffen.
Generell sind Armut und Arbeitslosigkeit auf dem Land stärker verbreitet als in den Städten, allerdings haben viele Familien auf dem Land durch Landwirtschaft in kleinen Rahmen oft noch ein (wenn auch sehr geringes) nicht deklariertes Nebeneinkommen. Die Überführung des informellen in den formellen Sektor gestaltet sich oft schwierig. Seit dem politischen Umbruch 2011 und die zunehmende Wirtschaftskrise hat sich die Lebenssituation und das Armutsrisiko allerdings deutlich erhöht. Gleichzeitig verlassen immer mehr junge, gut ausgebildete Arbeitskräfte vor allem aus dem medizinischen und dem IT-Bereich das Land nach Europa oder in die Golfstaaten.
Die tunesische Übergangsregierung hatte 2011 ein kurzfristig angelegtes Notfallprogramm
verabschiedet, um die Wirtschaft zu stärken und die unmittelbaren Folgen der Revolution zu mildern sowie die Armut vor allem in den Regionen zu mildern. Neben der Einstellung von 20 000 jungen Arbeitslosen im öffentlichen Dienst übernimmt die Regierung bei Neueinstellungen in Unternehmen die Sozialabgaben für die Arbeitnehmer. Zur Stärkung der Regionen wurden rund 250 Millionen Dinar zur Verfügung gestellt, außerdem sollen Familien, die unter der Armutsgrenze leben, besser unterstützt werden. Allerdings werden viele der vorhandenen Entwicklungsgelder nicht ausgegeben.
Das tunesische Prestigeprojekt zur Armutsbekämpfung war unter der Regierung Ben Ali der Nationale Solidaritätsfonds (Fond de solidarité nationale), besser bekannt unter dem Namen 26-26 (der Nummer des Postbankkontos des Fonds). Dieser Fonds, der 1992 eingesetzt wurde, dient der Armutsbekämpfung im Landesinneren. Nach offiziellen Angaben kamen zwischen 1993 und 2007 mehr als 850 Millionen Dinar zusammen, mit denen unter anderem Straßen gebaut wurde, die Trinkwasser- und Stromversorgung verbessert und Behinderteneinrichtungen und Sozialwohnungen gebaut wurden. Obwohl eigentlich freiwillig wurden Firmen gezwungen, pro Angestellten Abgaben an den Fonds zu zahlen. Es handelt sich also quasi um eine versteckte Steuer.
Die Entscheidung über die zu fördernden Projekte lag alleine in der Hand des Präsidenten, eine parlamentarische Kontrolle fand nicht statt und die offiziellen Zahlen sind nicht zu überprüfen. Es ist daher davon auszugehen, dass weite Teile des Fonds direkt in das Privatvermögen der Präsidentenfamilie flossen. Die tunesische Übergangsregierung hat den Fonds dem Sozialministerium zugeordnet. Zur Ergänzung von 26-26 gründete die Regierung im Jahr 1997 die Tunesische Solidaritätsbank, die dem Finanzministerium und der Tunesischen Zentralbank unterstellt ist, welche Mikrokredite vergibt und Jungunternehmer unterstützt. Nach eigenen Angaben hat sie in den ersten zehn Jahren ihrer Existenz mehr als 400 000 Projekte von Jungunternehmern unterstützt.
Eine internationale Geberkonferenz brachte im September 2014 Vertreter verschiedener internationaler Regierungen und Institutionen zusammen. Tunesien stellte dort 22 Infrastruktur Projekte mit einem Projektvolumen von rund 12 Milliarden Dinar vor, für die die Regierung um Finanzierung wirbt. «Tunisia 202», eine weitere Konferenz im November 2016, brachte Zusagen über 34 Milliarden Dinar ein. 2018 verabschiedete die Regierung den sogenannten Startup Act, der aufstrebenden Kleinunternehmen den Start erleichtern soll. Tunesien hat 2019 an der freiwilligen Review der SDG teilgenommen. Während in einigen Bereichen Fortschritte erreicht wurden, stellen vor allem wirtschaftliche Fragen und die Anpassung an den Klimawandel Herausforderungen dar, so der Bericht.
Ausländische Entwicklungsanstrengungen
Die Webseite des Ministeriums für Planung und Internationale Zusammenarbeit bietet einen Überblick über die tunesischen Entwicklungsanstrengungen und (unter „Coopération Financière“) Überblick über laufende Projekte der Entwicklungszusammenarbeit und bestehende Abkommen mit Geberorganisationen und -staaten.
Sehr aktiv ist in Tunesien das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Es konzentriert sich auf drei Bereiche: Armutsbekämpfung und Millennium Development Goals, Demokratie und Governance sowie Energieversorgung und Umweltschutz. Tunesien kooperiert außerdem eng mit der Europäischen Union, mit der Tunesien seit 1995 assoziiert ist. Auch die Weltbank finanziert diverse Projekte in Tunesien.
Die Afrikanische Entwicklungsbank unterstützt in Tunesien vor allem Infrastrukturprojekte. Sie hat außerdem nach der Revolution Sondermittel zur Verfügung gestellt. Auch verschieden arabische Staaten vor allem aus der Golf-Region und der Arabische Entwicklungsfonds sind mit verschiedenen Projekten in Tunesien tätig.
Die Europäische Union hat mit Tunesien eine privilegierte Partnerschaft vereinbart, die sich vor allem im wirtschaftlichen Bereich auswirkt. Seit dem Umbruch 2011 sind mehr als eine Milliarde Euro nach Tunesien geflossen, deren Verwendung jedoch nicht immer nachhaltig war, so ein Bericht des Rechnungshofes.In der jüngsten Vergangenheit ist auch China in Tunesien immer stärker präsent.
Zwei Abkommen Tunesiens mit dem Internationalen Währungsfonds, die weitreichende Veränderungen vor allem im Bereich der staatlichen Subventionspolitik und in der Reform des Finanzsektors vorsehen, sind in Tunesien durch alle politischen Lager hinweg umstritten. Kritiker fürchten eine zu starke Abhängigkeit des Landes von internationalen Gebern. Das Abkommen mit dem IWF läuft im kommenden Jahr aus. Über eine Verlängerung wurde noch nicht entschieden.
Deutsch-tunesische Entwicklungszusammenarbeit
Das BMZ fördert in Tunesien diverse Projekte. Die Projekte der deutsch-tunesischen Zusammenarbeit, die sich auf die Bereiche Umweltschutz, Wirtschaftsförderung sowie Demokratieförderung konzentrieren, werden von GIZ und KfW durchgeführt. Im Rahmen eines Sonderprogramms zur Demokratieförderung in der Region fördert Deutschland Projekte zur Demokratisierung, zur Weiterbildung junger Erwachsener und zur Wirtschaftsförderung sowie zur verstärkten Kooperation im Hochschulbereich. Im Juni 2012 wurde ein Abkommen zur Schuldenumwandlung unterzeichnet. Im ersten Abschnitt wurden 30 Millionen Euro in Entwicklungsprojekte im Bereich Wasser- und Abfallmanagement in ländlichen Regionen investiert.
Neben staatlichen Institutionen sind außerdem verschiedene politische Stiftungen in Tunesien tätig:
- Friedrich-Ebert-Stiftung
- Konrad Adenauer-Stiftung
- Friedrich Naumann-Stiftung
- Hanns Seidel-Stiftung (Maghreb)
- Heinrich Böll-Stiftung
- Rosa-Luxemburg-Stiftung
- Die Texte stammen vom Länderportal der GIZ, welches vom Netz genommen ist. Verfasser ist Sarah Mersch, freie Journalistin und Trainerin. Sie arbeitet unter anderem für verschiedene ARD Anstalten, die Deutsche Welle und Online- und Printmedien. Die Urheber wurden soweit möglich informiert, dass auf meiner Tourismusseite zu Tunesien die Inhalte veröffentlicht werden.